Markus Brenner

„Vielleicht muss man ja lustvoll die Oberfläche feiern, um etwas über die Tiefe zu erfahren?“

Frozen Cars and Moving Lights

Video- Lichtinszenierung im „Licht Dom“ des MAC 2 – Museum Art & Cars in Singen (Hohentwiel).
Bildnachweis & ©: MAC Museum & Markus Brenner

Zur Mac 2 Website…

Der Konstanzer Künstler Markus Brenner hat eine raumgreifende Video- Lichtinszenierung im "Licht Dom" des MAC 2 geschaffen

Von Siegmund Kopitzki

Ausgerechnet Fische. Fische im Badeanzug machten Markus Brenner einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Die "Financial Time Deutschland" fragte gleich nach, was sich der Künstler dabei gedacht habe, frische Forellen mit Modellmaß – 600 Gramm / 40 Zentimeter –, dergestalt einzukleiden. "Weshalb schwimmen Fische nackt, fragte Brenner keck zurück. Und er weiß, darauf gibt es viele Antworten. Mangelndes Modebewusstsein gehört eher nicht dazu.

Brenner, 1963 am Bodensee, in Friedrichshafen geboren, der im MAC 2 – Museum Art & Cars die großartigen Video- und Lichtspiele im "Licht Dom" verantwortet, es ist wohl sein bisher anspruchsvollstes künstlerisches Projekt, fotografiert die Fische. Fürs Shooting bestellt er seine Wunschforellengröße gleich im halben Dutzend. Er legt die Kaltblüter auf Eis, fährt ins Studio und zieht ihnen die maßgefertigte Elastikware über. Nicht jedem Fisch steht jeder Anzug. Fische haben nach Brenners Erfahrung – wie Menschen – individuelle Figuren und Gesichter. Er nimmt diese Beobachtung ernst. Folgerichtig entsteht zwischen dem Künstler und den Fischen eine Beziehung. Manchen gibt er Namen. Und manchmal erblickt er sich selbst, wenn er ihnen in die Augen sieht.

Allerdings: Je länger das Shooting dauert, desto stärker schwindet das Leben aus den Augen seiner Modelle. Die Freude über die Bilder kippt in Melancholie und Traurigkeit: "Mit dieser Arbeit pendle ich zwischen dem Schönen und Schrecklichem, komme dem Tod ganz nah, den Widersprüchen des Lebens", lautete eine andere Adresse an die "Financial Time", "aber vielleicht muss man ja wirklich lustvoll die Oberfläche feiern, um etwas über die Tiefe zu erfahren". Gelegentlich fügt Brenner auch mehrere Einzelbilder zu einem Triptychon zusammen. Eines davon, "Hope", "Rich", "Game over" getitelt, hängt im Sitzungssaal des Landratsamtes Konstanz.

Brenner erhielt für diese Intervention jenseits vom Tafelbild, die er zudem noch variierte – so montierte er tiefgekühlte Forellen wie Haltegriffe in Busse der Stadtwerke Friedrichshafen –, unterschiedliche Reaktionen. Viel Zuspruch, aber auch wütende Brandbriefe. Es waren nicht nur Tierfreunde, die motzten. Die Zürcher Kunstwissenschaftlerin Irene Müller rückte die Aktion in die Nähe der von den Surrealisten gerne zitierten Gedichtpassage des Comte de Lautréamont, die dem zufälligen Zusammentreffen eines Regenschirms mit einer Nähmaschine eine unvergleichliche Schönheit attestiert. "Es ist das Moment des Unerwarteten, des Absurden, des Unberechenbaren, das diese Schönheit ausmacht und das auch in den Fotografien von Markus Brenner aufblitzt", schloss sie ihre Hymne.

Die Fische im Badeanzug sind zum "Markenzeichen" des Künstlers geworden, wie der hunderttausend Mal reproduzierte Gartenzwerg von Ottmar Hörl, der den Stinkefinger in die Luft streckt. Doch wäre es falsch, Brenner auf diese Aktion festzulegen, wie die Arbeit für das MAC2 zeigt. Er ist seit 1989 im Kunstbetrieb unterwegs – nach dem Studium der Geschichte, Literatur, Kunst und Medienwissenschaft in Konstanz. Anfangs der Videokunst verpflichtet, nahmen zunehmend Fotografie und Licht Raum in seinem Werk ein.

Als Videokünstler reüssierte er auf internationaler Ebene, sozusagen von Glasgow bis Neapel, von Hong Kong über Berlin, Paris bis New York. Dass Brenner Konstanz bisher treu geblieben ist – es muss Liebe sein, zur Stadt am See und zur Region, die ihn nicht nur zu großformatigen Fischzügen anregt. Spektakulär in diesem Zusammenhang war sein Projekt "Aqua Morgana (2001) im Rahmen des Bodenseefestivals: Eine mobile Videoinstallation, die nachts über den Überlinger See fuhr, erweckte den Anschein, als würde ein Mensch über das Wasser laufen – wer denkt da nicht an den jungen Mann, der vor etwa zwei Tausend Jahren über den See Genezareth lief?

Eine am See feiernde Hochzeitsgesellschaft fiel auf Brenners wunderbare Inszenierung rein und verließ gutgläubig die Party, um zu schauen. Die Illusion, ein hehres Ziel der Kunst seit der Antike, war gelungen.

Andere, beispielhafte Brenner-Projekte in der Region: Gemeinsam mit dem Team "Licht 3" entwickelte er 2005 ein dramaturgisches Lichtkonzept für die Altstadt von Tübingen, das als beispielhaft gilt. Das rief gleich die Nachbarstadt Reutlingen auf den Plan, für die Brenner ebenfalls ein Beleuchtungskonzept schuf. Eine Tiefgarage im Konstanzer Teilort Allmannsdorf verwandelte er in einen subtilen Farbraum (2007), eine Garagen-Einfahrt in der Mainmetropole Frankfurt zieren zwei seiner Fische im Badeanzug. Bei der Bodensee-Therme begleitete er die Lichtplanung (2007) und trug mit feinsinnigen Ideen dazu bei, einen fließenden Übergang vom architektonischen zum künstlerischen Licht zu schaffen, um den Badegästen zu ermöglichen, "in sich selbst einzutauchen."

Mit dem Kunstprojekt "Die Couch" (2017) gewann Brenner den Wettbewerb "Entdeckung des Stadtraumes" der Stadt Kreuzlingen. Die Couch als Ikone allem psychologischen Tuns ist Kernthema und Ortsbezug zugleich. Tagsüber ist die Beton-Couch eine Skulptur im Bellevue-Park. Ein Kopfkissen zeigt den Abdruck einer Person, als habe gerade noch jemand dort gelegen. Bei Dunkelheit wird die 'Couch' zur Projektionsfläche. Der Projektor appliziert den originalen Orientteppich von Sigmund Freund auf die Liege und macht sie zur Therapie-Couch. Wer sich im Dunkeln auf die Liege legt, wird Teil der Projektion und verschmilzt mit ihr. Zu Erinnerung: Von 1857 bis 1912 stand auf dem Bellevue-Areal ein psychiatrisches Sanatorium. Ludwig Binswanger, der Leiter der Anstalt, pflegte Kontakte zu Freud. Der Psychoanalytiker besucht ihn 1912 in Kreuzlingen.

Vor Kunst am Bau und Kunst im öffentlichen Raum, selbst im kommerziellen Rahmen eines Einkaufszentrums, hat Brenner keinerlei Scheu. Genauso wenig, sich immer wieder auf neue und durchaus gewagte Projekte zu stürzen. Gewagt im Sinne von Experiment und das in vielerlei Hinsicht.

Denn Brenner repräsentiert einen Künstler-Typus, der mit den "klassischen" Begriffen der abendländischen Kunsttradition nicht mehr zu fassen ist. Auch die Bezeichnung "Video- und Lichtkünstler" erreicht ihn nicht ganz. Er hat studiert, aber nicht das gute alte Handwerk der Kunst, sondern das System Kunst, global und interkulturell aufgefasst. Zwar bespielt er auch Ausstellungen, aber das ist nicht sein "Kerngeschäft". Er bleibt erfinderisch. Im Wahljahr 2009 gründete er eine Fischepartei. "Mit uns gegen den Strom" und "Wir garantieren Tiefgang", lautetet ihre Botschaft. Er machte sich in dieser politischen Demonstration, wie Wahlkampfphrasen durch subversiven Humor ad absurdum geführt werden können, selbst zum Objekt seiner Kunst.

Viele der technisch aufwändigen Objekte, Installationen, Interventionen und Aktionen, die seinen Namen tragen, sind nur im Teamwork realisierbar. Das ist nicht neu. In Kollektiven arbeiteten schon die Künstler der Renaissance. Viele Werke von Andy Warhol, der auch schon im MAC Museum Art & Cars ausgestellt wurde, wären ohne seine Mitarbeiter nicht möglich. Der allgemeinste Begriff, den die Postmoderne für einen Typus wie Brenner gefunden hat, heißt Konzeptkünstler. Wobei Konzeptkunst die bekannten Einteilungen wie Malerei, Bildhauerei, Tanz, Musik, Fotografie, Video, Theater nicht ausschließlich ignoriert, sondern sie ja nach Bedarf reflektiert, bearbeitet und auch nutzt.

Die Stop-Motion-Animation "Frozen Cars", die Brenner eigens für das MAC 2 geschaffen hat, erinnert an die Freiflächenmalerei von Marc Rothko. Aber Brenner hat keinen Pinsel in die Hand genommen. Er hat Modelle verschiedener Automarken in eine mit Wasser gefüllte Box gelegt und das Ganze eingefroren. Übereinander gestapelt, ergeben die mit farbiger Tinte versetzten Blöcke ein faszinierendes Bild. Es ist abstrakte Kunst. Was sonst? Auch der stundenlange Prozess des Auftauens – und damit die "Befreiung" der Modelle aus dem ewigen Eis – ergibt ganz große ästhetische, ja poetische Momente. Da waltet aber auch der Zufall, ein Prinzip, nach dem Künstler von William Turner über Jackson Pollock bis hin zu Hermann Nitsch gearbeitet haben. Brenner schafft ein "vergängliches Kunstwerk", wie es etwa auch von der Landart her bekannt ist, und ein etwas anderes (fließendes) Memento mori dazu. Was bleibt, ist nur die Dokumentation dieses Sterbens – die Fotografie, der Film. Das Modell tritt zurück. Auch der Fisch im Badeanzug wird ja entsorgt.

In Singen, im MAC 2, zeigt sich, wie angedeutet, der Video- und Lichtkünstler Brenner. Mit dabei: sein Team – Till Hastreiter, Marco Brütsch und Tarek Boschko, Experten für Film, Grafik, und 3-D-Animation, alle in Konstanz ansässig, international gefragt. Lichtkunst wie Brenner sie versteht, ist nicht nur ein schöpferischer Akt, sie hat vor allem mit Technik zu tun. Ohne sie geht in dieser Kunstgattung nichts. Das war schon ein Muss, als die Tänzerin Loie Fuller 1892 in den Pariser Folies Bergéres als "verkabelte" Lichtskulptur die industrielle Revolution als ästhetisches Ereignis feierte. "Ich forme Licht", überschrieb sie programmatisch ihr Schaffen. Ihr Auftritt gilt als Startsignal der Lichtkunst, die in Lázló Mohly-Nagy sowie Dan Flavin weitere Pioniere hervorgebracht hat und nicht zuletzt in James Turrell den heute wohl populärsten Aktivisten dieses Genres feiert.

Der technische Aufwand für die Licht- und Videospiele im "Licht-Dom", wie Hermann Maier fast schon andächtig diesen Teil der MAC 2-Architektur nennt, ist enorm. Mit unzähligen Prozessoren und Spezialcomputern, mit einigen hundert Metern Kabel, werden ein Dutzend Videoprojektoren laufend mit Bildmaterial gefüttert. Die Videoprojektoren hängen unterhalb der Brücken, die die beiden "Häuser" verbinden, damit die Architektur bzw. der Sichtbeton nicht durch die technischen Geräte "zerstört" wird. Diese Maßnahme hatte einen zusätzlich hohen Aufwand bei der Installation zur Folge, da auch aus extremen Winkeln auf die Seitenwände projiziert wird. Jedes Gerät liefert ein Teilbild, zusammengesetzt ergibt sich das Gesamtbild.

Der "Licht-Dom" ist der Ort, in dem Brenner die Betonwände der fast klerikalen Architektur zum Leuchten bringt und den Blick des Besuchers immer wieder nach oben führt. Hier stapeln sich die Schätze (und Sehnsüchte) der Auto-Enthusiasten, allerdings in Eis gefroren. Das ist Brenners künstlerisch transformierte Hommage an das motorgetriebene Vehikel. Dabei entstehen auch viele vertikale, fast transzendentale Momente, wenn Flammen oder Wasserfontänen vom Himmel runter in den 16 Meter tiefen "Dom" stürzen. Wer schon immer vom Mond geküsst werden wollte, der ist hier richtig. Brenner inszeniert Lichtkunst und Lichtshow gleichzeitig. Er verknüpft Aktion und Kontemplation, Unterhaltung und Poesie. Der Besucher kann ins Bild eintauchen und sich selbst neu erfahren. Brenner schafft Projektionsflächen für große Gefühle. Zeit und Raum scheinen überwunden, sind nur noch abstrakte Größen – und werden wieder sehr real.
Bei näherem Hinsehen erweist sich das Projekt nicht nur als künstlerische, sondern auch als technische Meisterleistung und also ein so einmaliges wie großartiges Zusammenspiel vom Projektionskunst und Architektur.

Schließlich: Es ist eine kuratierte Betonwand, die Brenner halbstündlich in eine Filmleinwand verwandelt. Er setzt in dieser bewegten und bewegenden Collage ureigene Beiträge ein – wie das Eisstück "Frozen Cars" –, aber er nutzt auch Fremdmaterial, so etwa Filmauszüge von historischen Autorennen. Aber auch Wünsche und Anregungen der Museumsstifter sowie andere Künstler sind in die Programmgestaltung eingeflossen. Das ist nicht ungewöhnlich. Postmoderne Kunst, gerade auch Medienkunst, lebt im Zitat anderer Künstler. Sie setzt es bewusst ein und verbindet damit auch historische und zeitgenössische Stile.

Es werde Licht und es ward Licht? Die Grenzen zwischen Design, Popkultur und Subkultur einerseits und Hochkultur andererseits verschwimmen in der programmierten Lichtkunst. Oder sollte von virtueller Kunst und erweiterten Realitäten gesprochen werden? Auch im Zusammenhang mit dem Werk von Markus Brenner, das im Übrigen nicht für den Augenblick gemacht ist, sondern mindestens ein Jahr der Auf- und Anreger für die MAC 2-Besucher sein soll. Wie wird das Publikum reagieren, wenn die Bilder mitsamt Geräuschen und musikalischen Einspielungen wie ein Gewitterregen auf Augen und Trommelfell niederprasseln? Das ist die große Unbekannte. Das ist das Risiko, auch des Unternehmers Brenner. Aber es bringt ihn in jedem Fall ein Stück voran.

Jenseits ästhetischer Fragen: Es ist eine visuelle Kunst, in der kein Besucher irgendetwas erkennen oder interpretieren muss. Es gibt auch keine Pflicht zu verstehen, schauen genügt. Spaß gehört dazu. Ist ausdrücklich erwünscht. Es ist eine Kunst, die niemanden im Dunkeln stehen lässt. Insofern gehört sie zur demokratischen Idee des Stifterpaares Gabriela Unbehaun-Maier und Hermann Maier, die mit ihrem musealen Angebot alle Menschen erreichen wollen.