Markus Brenner

„Vielleicht muss man ja lustvoll die Oberfläche feiern, um etwas über die Tiefe zu erfahren?“

Licht – frisch geschnitten

Lago statt MoMA: Lichtspiel mit Lift

Der Konstanzer Künstler Markus Brenner bereichert den Lichthof des Einkaufszentrums Lago mit einer attraktiven Installation. Und findet diesen Ort für Kunst wie geschaffen: „Hier trifft man sich“

Am Ende, also jetzt, ist alles ganz einfach. Da rauschen zwei gläserne Fahrstühle, (hell erleuchtet und mit einem Spot bestückt), das Treppenhaus auf und ab und malen mit ihrem Licht Formen und Figuren auf eine Flanke aus Metall: Die Metallverblendung hat Löcher, und durch diese fällt Licht, auf die Außenhaut der Aufzugsverglasung, wo zwei Friese, zusammen nur einen halben Meter breit, dann aufleuchten, wen er Aufzug vorbei rauscht. Kurz erkennt man: Gesichter, Vögel oder Strichcodes, wie sie Scannerkassen schlucken. Dann ist der Lift schon wieder höher, tiefer, wirft andere Bilder in andere Etagen des Lichthofs. Formen in Schwarz-Weiß, Scherenschnitte. Einfach, aber auch ein bisschen rätselhaft.

Plakate, die für 9,95 Euro Strümpfe, für 38,90 Euro Kinderschuhe verkaufen, kennt und erwartet man hier. Doch das?

Nach über einem halben Jahr Arbeit hat der Konstanzer Künstler Markus Brenner, 47, im Lichthof des Einkaufszentrums Lago an der Bodanstraße ein Stück Kunst am Bau fertig gestellt, Titel: "Licht, frisch geschnitten". Immer wieder neues Licht fällt nun durch die sich über Etagen wandelnden Formen auf der Fahrstuhl-Außenwand. Sein Lichtstreifen am fahrenden Lift sei an sich "eine Art ausgerollter Experimentalfilm", er komme "schließlich aus der Video-Ecke", sagt Brenner, lacht und wickelt auf dem Tischchen eines Cafés im ersten Stock eine Rolle Pergamentpapier auf, auf der er mit Filzstift die Formen für die nun in Metall geschnittenen Lichtschablonen gezeichnet hat. "Mehrere Kilometer" von diesem Papier habe er voll gekritzelt und skizziert, bevor der Entwurf für den senkrechten Fries, ein sich (fast) spiegelnder doppelter Bilderstrang am Fahrstuhlschacht, fertig war.

Das Einkaufszentrum hatte dem 47-Jährigen völlig freie Hand bei der Wahl der Technik und der Motive gelassen, schlicht ein Budget und den Raum zur Verfügung gestellt. Eine selbst für Künstler seltene Freiheit. Dem war vorausgegangen, dass Markus Brenner bereits vor einem Jahr im Lago mit Licht gespielt hatte: Seine Ausstellung "Lichtschwimmer – Farbtaucher", bei der er Flächen des Lago mit Farbe und Licht okkupiert hatte und aus Kunden Kunstrezipienten machte, gefiel; man wollte mehr. Nun also keine bloß temporäre Ausstellung, sondern Kunst am Bau; etwas Dauerhaftes. Der Lift wurde für das Projekt in 2- wie 3-D nachgebaut, die Zeichnungen animiert und so ihre Wirkung getestet, der Tüv kam mehrfach, um zu prüfen, wie die Metallschablonen ohne Gefahr für den Betrieb innerhalb des Aufzugs befestigt werden sollten, der Fahrstuhlhersteller wurde mit einbezogen: ein aufwändiges Projekt. Aber Ende gut, alles gut: Sehr selbstverständlich mäandert Brenners Fries nun vertikal durchs Lago-Treppenhaus.

Mit den Kunstinstallationen von Markus Brenner spielt das Einkaufszentrum in Konstanz eine Vorreiterrolle, indem es Raum gibt für eine kleine befruchtende Pause vom Kommerz, den Luxus, zwischen all der Shopperei mal abzuschweifen. Große Häuser in München, Hamburg und Berlin haben ebenso seit Jahren Etats für Kunst bereits fest eingerechnet. Und große Künstler offensichtlich auch. Die Nähe zum Konsum scheint für wirkliche Kunst kein Problem zu sein, im Gegenteil: Heinz Maack oder Fabrizio Plessi sind nur zwei Beispiele für künstlerische Schwergewichte, die mit ihren Arbeiten längst dorthin gingen, wo die Menschen sind: ins Einkaufszentrum, in die Shoppping Mall. Und auch Günther Uecker, der im Auftrag eines Düsseldorfer Einkaufszentrums eine Installation fertigte, scheint diesen Ort als Ausstellungsort geradezu zu lieben: "Hier trifft man sich, hier lernt man sich kennen, hier kommt man sich näher." Eine Ansicht, der auch Markus Brenner folgt: "Im Schnitt 23.000 Besucher werden im Lago gezählt, Tag für Tag. Soviel Betrachter hätte ich in keinem MoMa der Welt!"


LAGO Konstanz
Bodanstraße 1
D-78462 Konstanz

Kontakt:
Peter Hermann
Center-Manager
+49(0)7531/691336-0

Text: Judith Borowski, Berlin
Abdruck Honorarfrei, Beleg an LAGO Konstanz

Diesen Artikel sowie das folgende Interview mit Markus Brenner zu diesem Projekt, können Sie hier als doc auf Ihren PC herunterladen: Artikel & Interview

Der frische Blick

Leise Musik im Hintergrund, Stimmengewirr. Markus Brenner – hellblaues Sweat Shirt und ebensolche Augen, Jeans und Turnschuhe, einen Stoß Zeichnungen und Fotos vor sich – sitzt im dritten Stock des Lago. Er nippt an einem Milchkaffee, den Blick auf den Fahrstuhl gerichtet. Fragen an den Konstanzer Künstler, für den der Lichthof des Einkaufszentrums ein perfekter Ort ist. Jedenfalls, wenn es um Kunst geht

Herr Brenner, künftig sollte ich die Rolltreppe nehmen, nicht den Fahrstuhl, wurde mir eben gesagt. Richtig?

Brenner: "Tun Sie das eine, ohne das andere zu lassen: Auf der Rolltreppe stehen Sie im Zuschauerraum. Aber wenn da niemand ist, der gleichzeitig den Lift fährt, passiert auch nichts. Meine Lichtkunst braucht schon einen Vorführer, jemanden, der die Kunst in Gang setzt, der das Licht frisch aufschneidet."

Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht, als Sie sich ausgerechnet den Lift eines Einkaufszentrums als Ort für ihre Arbeit "Licht, frisch geschnitten" ausguckten?

"Kunst und Kommerz, Kunst im Tempel des Kommerzes; das interessiert mich. Denn da treffen zwei scheinbar diametrale Welten aufeinander, die dennoch viele Gemeinsamkeiten aufweisen. Etwa das immer Neue, der noch nicht gedachte Gedanke, der frische Blick: Das sind zentrale Qualitätskriterien in der Gegenwartskunst. Und Hauptkriterien auch in der kommerziellen Welt.

Meine Lichtkunst-Installation thematisiert das Flüchtige, das kurzatmige Auf- und Abtauchen und das sich ständig neu Erfindende: Mit jeder
Etage, die der Lift durchquert, wandeln sich die Motive, schneidet der Lift eine Scheibe Licht frisch ab. Drum also der Titel. Außerdem haben Lichtkunst zum einen und die Reklame zum anderen technisch gesehen häufig dieselben Gene. Ein sehr gutes Beispiel hierfür sind die laufenden Schriftbänder aus Leuchtreklame-Paneelen, die man von der berühmten Konzeptkünstlerin Jenny Holzer kennt."

Wir erinnern uns: Vor einem Jahr haben Sie das komplette Lago durch ein Farbbad gezogen. Nun ist die Farbe aber gänzlich weg, alles in Schwarz-Weiß. Wegen der Wirtschaftskrise? Hat das Lago Ihnen die Farbe gestrichen?

"Das ist die neue Einfachheit. Nein, Spaß beiseite. Beabsichtigt war eine langfristige und zeitlose Installation, die durch ihre fast archaische
Lichtwirkung sich von modischer Hightech-Beleuchtung absetzt. Sie sollte bewusst ganz anders sein als die Leuchtreklamen der Geschäfte. Die Farbflut im letzten Jahr war aus künstlerische Sicht nur möglich, weil ich mich von der farbigen Leuchtreklamen der Geschäfte weitgehend abschotten konnte, indem ich eigene Räume geschaffen habe oder Leuchtreklame abdecken und Schaufenster leerräumen ließ. Das ging natürlich nur für eine gewisse Dauer. Die Läden aber wollen ja verkaufen."

"Papas Kino ist tot", lautet ein bekanntes Credo des deutschen Films – sind Filme im Fahrstuhl, oder besser: Filme, die der Fahrstuhl macht, für Sie die Konsequenz?

"Ich finde, dass Papas Kino sehr lebendig ist. Und mit meinem Lichtspiel im Lago gehe ich sogar hinter Papas Kino zurück: Wenn wir das Kino bemühen wollen, dann bewegen wir uns hier eher in der Tradition des Schattenspiels, auch des Experimentellen respektive Absoluten Films. Aber streng genommen ist das natürlich kein Kino, denn wir bewegen den Lichtstrahl zwar an einem Band entlang, indem der Aufzug Projektor spielt. Das Lichtspiel allerdings durchquert den Ort, wogegen der Film sein Lichtspiel auf eine fixe Leinwand projiziert und das Filmband am Lichtstrahl vorbei bewegt wird."


Und der Inhalt? Wir sehen Gesichter, Strichcodes für Scannerkassen, Vögel, Quadrate, Buchstaben – was hat es mir den Motiven des senkrechten Doppelfries auf sich?

"Die Motive ergeben sich für mich aus dem Ort. Wir nehmen in einem Kaufhaus sehr vieles fragmentarisch auf. Gesichter, Waren, Preisschilder ... Motive wie Quadrate und Rechtecke etwa stehen für das Hinein- und Hinausbewegen. Das bezieht sich aber nicht allein auf den Menschen, sondern auch auf ein Parkticket, einen Geldschein oder eine Kreditkarte."

Inwieweit haben denn die Motive auch etwas mit diesem Ort zu tun: dem Lago, aber auch der Stadt am See?

(Lacht) "Na ja, ein paar Fische hab ich schon eingeschmuggelt. Die gehören bei mir ja quasi dazu. Aber sehr fragmentarisch. Viele Stunden und Kilometer, die ich hier im Lago auf und ab gelaufen bin, sind natürlich eingeflossen."

Und das ganz oben, was ist das?

"Was wie ein Vogel aussieht, knapp unter dem Oberlicht, ist ein abstrahierter Buchstabe, der davonfliegen oder landen möchte. Oben ist alles etwas freier, luftiger, chaotischer, während weiter unten die Motive stärker geordnet und gebahnt sind. Je größer die kommerzielle Dichte, desto geordneter geht es zu. Ganz unten Worte. Da ist die Welt definiert. Mit Barcodes und Binärcodes werden Menschen und Wörter metaphorisch in die digitale Welt überführt."

Wie bitte?

"Wichtig ist, das diesen vertikalen Friesen eine Wellenbewegung zugrunde liegt. Eine Welle folgt einem Impuls und läuft dann los, ändert ihre Richtung wegen neuer Impulse oder Hindernisse... In den Gängen eines Einkaufzentrums bewegt man sich ähnlich: von Schaufenster zu Schaufenster, taucht in Geschäfte ein, taucht auf, flaniert weiter. Die Gänge der Shopping Mall sind Kanäle, in denen unsere Aufmerksamkeit gesteuert wird. Da wird gezielt beschleunigt, gebremst, gestoppt."

Und der Kunde – oder: Kunstinteressierte –, was sieht der nun, wenn er vom Lago-Parking ins Kaufhaus geht?

"Erst einmal wird er sich vermutlich wundern. Die Motive entziehen sich einem Werbe- oder Verkaufszusammenhang. Viele werden die Installation erst auf den zweiten Blick wahrnehmen, weil sie nicht grell und groß um Aufmerksamkeit kämpft. Sie soll eher durch ihre Zurückhaltung und Eigenartigkeit neugierig macht. Man muss sie dann schon entdecken wollen."

Was motiviert Sie denn, Kunst in den Dienst des Kommerz zu stellen? Darf man das überhaupt?

"Die Kunst ist einfach da. Ob sie dem Kommerz dient oder nicht, weiß ich nicht. Und, ehrlich gesagt: Es interessiert mich nicht einmal wirklich. Vielleicht gibt sie dem Haus ein gewisses Alleinstellungsmerkmal. Ich sehe es anders: Kommerz dient hier der Kunst. Und das tut er viel zu selten. Hier verhelfen die Geschäfte der Kunst zu einer Aufmerksamkeit jenseits des White Cube. Das ist doch toll: Stellen Sie sich vor, wie viele Menschen hier durchspazieren. 23.000 Menschen im Schnitt, jeden Tag! Samstags noch viel mehr. Wenn nur eine Handvoll dabei ist, die sich anregen lässt, ist das doch toll."

LAGO Konstanz
Bodanstraße 1
D-78462 Konstanz

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Peter Hermann
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Text: Judith Borowski, Berlin
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